Während in Deutschland eine Debatte darüber entbrannt ist, ob das gerade beschlossene Schuldenpaket das Land in den finanziellen Abgrund reißt, reagieren Beobachter aus dem Ausland geradezu euphorisch auf den deutschen Befreiungsschlag. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron lobt den „historische Beschluss“, der wichtige Investitionen und mehr Ausgaben für die Verteidigung ermögliche: „Das brauchen wir.“
Der Kommentator des Nachrichtendienstes Bloomberg, John Authers, schrieb: „Der große Tag für Deutschland ist endlich da“. Jeder an der Börse liebe die deutsche Entscheidung.
Summe stellt Kosten der Wiedervereinigung in den Schatten
Was die Amerikaner besonders beindruckt, ist die Dimension: Das jetzt beschlossene Paket, das insgesamt über die nächsten Jahre bis zu 1200 Milliarden Euro groß werden könnte, habe das Potenzial „die Ausgabenbooms der Nachkriegszeit im Rahmen des Marshallplans und der deutschen Wiedervereinigung Anfang der 1990er Jahre in den Schatten“ zu stellen, zitiert Bloomberg Davide Oneglia vom Research-Institut TS Lombard.
Oneglia setzt die jetzt freigegebenen Summen, die sich aus einem 500 Milliarden Euro großen Sondervermögen für Infrastruktur und einer Aufweichung der Schuldenbremse für Rüstungsausgaben zusammensetzen, ins Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt. Dadurch zeigen sich die gewaltigen Dimensionen: Das Paket werde rund 2,25 Prozent des BIP ausmachen. Auf diesen Wert kommen auch die Volkswirte der Commerzbank. Zum Vergleich: Der Marshall-Plan, der nach dem Zweiten Weltkrieg die Basis für das deutsche Wirtschaftswunder legte, kostet nur etwa 1,25 Prozent des BIP. Für die Wiedervereinigung gab Deutschland sogar ein Prozent seiner Wirtschaftsleitung aus – und entfesselte damit ebenfalls einen Bau- und Wirtschaftsboom.
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Die Börse feiert bereits: Nicht nur Rüstungsaktien stiegen, auch Bauunternehmen und -ausrüster und Unternehmen aus energieintensiven Branchen legten deutlich zu. Allerdings stiegen auch die Renditen auf deutsche Staatsanleihen, was nicht nur den Finanzminister ärgert, sondern auch angehende Hauskäufer, die nun Tausende Euro mehr zur Abzahlung ihrer Hypothekendarlehen berappen müssen.
Keine schnelle Nachfragebelebung zu erwarten
Hat also das Schulden-„Rambo-Zambo“ von Friedrich Merz, Markus Söder und Lars Klingbeil das Potenzial, den nächsten Wirtschaftsboom in Deutschland und ganz Europa auszulösen oder nicht?
Vielleicht – aber nur, wenn das Geld sinnvoll ausgegeben und nicht über verkappte Wege in soziale Wohltaten und den Konsum gesteckt wird. Leider gibt es dafür erste Anzeichen, die den schönen Wirtschaftswunderplan schnell zunichte machen könnte.
„Ob die massiv expansive Fiskalpolitik in den kommenden Jahren die Konjunktur anschiebt oder in höheren Preisen verpufft, hängt auch davon ab, ob der auf Pump finanzierte Anstieg der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage auf eine Volkswirtschaft mit viel oder wenig freien Kapazitäten trifft“, warnt Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer. Zwar seien die Kapazitäten im verarbeitenden Gewerbe auf den ersten Blick weit unterdurchschnittlich ausgelastet, wenn man sie mit den vergangenen 30 Jahren vergleiche.
Allerdings litten die Unternehmen noch immer unter einem Mangel an Fachkräften und überdurchschnittlich viele von ihnen sähen sich dadurch in ihrer Geschäftstätigkeit beeinträchtigt. „Im Tiefbau, der in Zukunft viele zusätzliche Staatsaufträge erhalten dürfte, haben in den vergangenen zwölf Monaten sogar fast ein Drittel der Unternehmen über einen Mangel an Arbeitskräften geklagt“, schreiben Chefvolkswirt Jörg Krämer und sein Kollege Ralph Solveen. Das seien deutlich mehr als im Schnitt der vergangenen 30 Jahre.
Engpässe verschärfen sich
Außerdem warnt die Commerzbank vor zu großen Erwartungen an einen sofortigen Effekt. Tatsächlich könne es mindestens bis ins nächste Jahr dauern, bis die ersten Auftrage vergeben sind und die Maßnahmen wirken. Im Bereich der Rüstung etwa „dauert es erfahrungsgemäß lange, bis Rüstungsgüter bestellt, produziert und ausgeliefert werden“. So seien von 100 Milliarden Euro im erst 2022 geschaffenen Sondervermögen für die Bundeswehr bisher nur 23,6 Milliarden Euro abgerufen und dafür Schulden aufgenommen worden. Im Bereich der Infrastruktur, also dem Bau von Brücken, Straßen, Schienen und Gebäuden, dauere es ebenfalls häufig mehrere Jahre, bis Baugenehmigungen erteilt werden. Noch sei nicht erkennbar, dass die Politik dafür, wie beim Bau der LNG-Terminals, ein Beschleunigungsgesetz erlassen wolle.
Es sei jedoch Eile geboten, warnen Krämer und Solveen, weil sich der Facharbeitermangel von Jahr zu Jahr weiter verschärfen werde. Bis 2030 würden Jahr für Jahr 300.000 Menschen im erwerbsfähigen Alter in Rente gehen– das entspricht jährlich 0,5 Prozent der verfügbaren Erwerbstätigen.
Zweifel an der Wirkung
Und es gibt weitere Gründe, warum die Commerzbank-Volkswirte den Optimismus im Ausland nicht so recht teilen mögen:
- Es sei gut, dass viel Geld für Infrastruktur bereitgestellt wird, auch dieses nicht ausschließlich in Straßen, Brücken, Schienen und Gebäude fließen werde. „Aber leider findet sich im Sondierungspapier von Union und SPD kein Wort zu einem Gesetz, um die quälend langsamen Genehmigungsverfahren für Infrastrukturvorhaben zu beschleunigen und die unterbesetzten Bauämter aufzustocken“, schreiben die Ökonomen.
- In dem Sondierungspapier sei außerdem die Rede von einem „Einstieg“ in eine Unternehmenssteuerreform. Offenbar genieße dieses Projekt, das für die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen elementar sei, keine hohe Priorität. Tatsächlich soll es bei den Koalitionsgesprächen schon nach wenigen Tagen Streit um Art und Umfang so einer Reform gegeben haben.
- In der Energiepolitik plant die neue Koalition dem Vernehmen nach eine Subventionierung des Industriestrompreises und will für alle Unternehmen die Stromsteuer und die Netzentgelte senken. Das sei zwar positiv, dennoch bleibe Energie in Deutschland weiterhin teuer.
- Auch bei den Lohnnebenkosten passiere zu wenig. „Die Sozialversicherungsbeiträge der Unternehmen dürften in den kommenden Jahren weiter deutlich steigen“, resümiert die Commerzbank, weil die künftigen Koalitionspartner „das Renteneintrittsalter trotz einer steigenden Lebenserwartung nicht erhöhen möchten und eine Senkung des Rentenniveaus ausschließen“. Außerdem werde immer noch die Frühverrentung subventioniert, obwohl schon jetzt viel zu viele Menschen in den Ruhestand gehen.
- Und schließlich fänden sich im Sondierungspapier wieder nur Absichtserklärungen zum Bürokratieabbau, „aber wenig Konkretes“.
Was also wird passieren? Zumindest weise der Weg nun in die richtige Richtung: „Alles in allem dürfte es in den kommenden Jahren zu einer gewissen Verbesserung der öffentlichen Infrastruktur kommen. Aber wir erwarten keinen wirtschaftspolitischen Neustart in der Breite. Das Produktivitätswachstum bleibt niedrig, Fachkräfte bleiben tendenziell knapp“, schreibt die Commerzbank.
Und was bedeutet das für die Börse?
„Anleger und Marktbeobachter vor allem aus dem angelsächsischen Bereich haben teilweise enthusiastisch auf die faktische Aushebelung der Schuldenbremse reagiert“, konstatiert Krämer. „Deutschland habe sich von fiskalischen Fesseln befreit. Jetzt könnten nicht nur einzelne Branchen wie Rüstung oder Tiefbau durchstarten (eine berechtigte Annahme), sondern die gesamte deutsche Wirtschaft –was wir aus den oben genannten Gründen nicht erwarten.“ Dennoch könne es durchaus mehr als ein Jahr dauern, bis sich der Enthusiasmus der Anleger lege. Heißt: Der Optimismus an den Börsen hält an – und die Aktienkurse steigen vermutlich erstmal weiter.